Viktoria Lanthier - Wertschätzung, die unterschätzte Superkraft
Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis zur Stärkung von Einzelpersonen und Organisationen
Viktoria Lanthier
Arbeitspsychologin
Als Partnerin am Institut für Vitalpsychologie berät Viktoria Lanthier Organisationen in ihren (kulturellen) Entwicklungsprozessen zu Themen der neuen Arbeitswelt. Dabei steht immer das gelingende Zusammenspiel aus Organisation, Team und Individuum im Fokus. Als Arbeits-Psychologin begleitet sie Menschen von der Vorstands- bis zur MitarbeiterInnen-Ebene und ist zudem immer wieder geladene Expertin in verschiedenen TV-Formaten.
In Unternehmen ist sie zentral und oft wird ihr Fehlen kritisiert – die Wertschätzung. Belächelt als verweichlichter Zugang und Sozialromantik in einer Arbeitswelt, in der es in vielen Fällen um das Überleben des Unternehmens oder des eigenen Jobs geht, stellt sich die Frage: Welchen Unterschied kann ein so „softes“ Element wie Wertschätzung wirklich machen?
Eine Kultur der Wertschätzung kann auf individueller, zwischenmenschlicher und organisationaler Ebene wirken und wir können von dieser unterschätzten Superkraft profitieren!
Wertschätzung als Mangelware?
Wertschätzung scheint vor allem in den letzten Jahren die Menschen zu bewegen und immer mehr zur Mangelware zu werden. Wir scheinen uns in einer Art Krise der Wertschätzung zu befinden. Die Ursachen verortet Lanthier bei den aktuellen weltpolitischen Geschehnissen. Denn es wird immer schwieriger, unbeschwert durchs Leben zu gehen. Ein „Riss durch die Welt“ führt auch zu gesellschaftlichen Spaltungen und dieses Klima macht es schwierig, Wertschätzung zu etablieren.
Was ist Wertschätzung überhaupt?
Wertschätzung ist das Gelingen, die Werte des anderen zu schätzen, ohne einer Meinung sein zu müssen. Oft geraten wir aber schon als Einzelperson in Wertschätzungskonflikte, wenn wir mehrere kontrastive Werte in uns tragen und diese nicht alle gleichzeitig bzw. gleichermaßen wertschätzen können. Umso mehr kann es zu einer Herausforderung werden, die Werte anderer zu schätzen, ohne mit ihnen konform zu sein.
Was ist die Basis für Wertschätzung?
Es bedarf Respekt, Zeit und Energie, um herauszufinden, was dem anderen wichtig ist, und Wertschätzung leben zu können. In unserer Gesellschaft steht aber leider eher im Fokus, Recht zu haben, als andere ganzheitlich zu verstehen und sie mit ihren Ansichten wertzuschätzen.
Warum ist Wertschätzung in diesen Zeiten besonders wichtig?
Wertschöpfung vermittelt dem Menschen ein Gefühl der Wirksamkeit. Durch diese erlebte Wirksamkeit erfährt man zugleich auch Wertschätzung. Dopamin (Glückshormon) und Serotonin (Anerkennung anderer für Leistungen) sind die Booster für Wertschätzung.
Doch dadurch, dass sich unsere Arbeit immer weniger manuell gestaltet und wir kaum noch „Produkte“ als Endresultate erhalten, wird das Gefühl erlebter Wirksamkeit rarer. Dies lässt das Bedürfnis wachsen, diese von anderen bestätigen zu lassen – das Bedürfnis nach Wertschätzung steigt.
Außerdem finden technische Gerätschaften immer mehr Einzug in zwischenmenschliche Situationen, was sich negativ auf die Wertschätzung auswirkt.
- Gefühle der Ablenkung sind durch Smartphone und Co deutlich erhöht
-> Das Gefühl, gesehen zu werden, wird unterbrochen. - Smartphones bieten eine größere Bandbreite für Unterhaltung im Vergleich zu realen Gesprächen
-> Das Gefühl von Langeweile ist erhöht.
Letztlich etabliert sich ein Gefühl von Einsamkeit und geringerer sozialer Vernetzung durch die Präsenz technischer Gerätschaften.
Wir glauben, Erfolg kommt von Talent, aber in Wahrheit geht es um (mentales) Training. Du wirst in der Öffentlichkeit für das belohnt, was du privat gelernt hast.
- Wie viel trainierst du und arbeitest du an deinen Skills?
- Wo kannst du weiter investieren?
- Wie gehst du mit dir selbst um?
Viele sprechen von dem, was hätte sein können. Wir verkaufen uns tagtäglich unter unserem Wert, wenn wir nur über hypothetische Wirklichkeiten sprechen. Wir könnten so viel mehr und müssen nur unser eigenes Potential lokalisieren, uns fordern und mit einem Growth Mindset wachsen!
Studie: Auswirkungen von Mangel an Wertschätzung
Wertschätzung aus evolutionärer Sicht
Aus evolutionärer Sicht fungiert Wertschätzung als Entwicklungsvorteil. Während sie von vielen als Sozialromantik und als „nice to have, aber nicht notwendig“ abgetan wird, fußt der Faktor der Wertschätzung auf dem natürlichen Bedürfnis, gesehen und wahrgenommen zu werden. Dadurch wird ermöglicht, in Beziehung zu treten und sich emotional und sozial für die Bewältigung des Lebens mit anderen zu entwickeln.
Bei einer Studie herrschte vermeintlich freie Wahl, wem man bei einem Spiel den Ball zupassen möchte. Anfänglich achteten alle darauf, dass jede/r mitspielen konnte und regelmäßig angespielt wurde. Spieler A und B erhielten im Experiment später aber den Auftrag, sich nur noch gegenseitig zuzupassen, wodurch sich Spieler C ausgeschlossen fühlte.
Interessant war die Beobachtung, dass beim Gefühl von Einbindung höhere Gehirnregionen aktiv waren, während diese beim Gefühl fehlender Wertschätzung weniger Aktivität aufwiesen. Stattdessen wurde die Insula aktiv, eine Hirnregion die typisch für den Überlebensmodus ist. Das ist deshalb einleuchtend, weil Bestandteil einer Gruppe zu sein und als Mitglied geschätzt zu werden für die menschliche Existenz wesentlich ist. Unser Sozialverhalten verschaffte uns den größten evolutionären Vorteil. Wird die Einbindung in ein Sozialgefüge als gefährdet erlebt, kommen unbewusst Überlebensängste auf und es werden Stresshormone ausgeschüttet.
Hält dieser Zustand über längere Zeit an, macht sich ein Gefühl von Einsamkeit breit. Das Gesundheitsrisiko durch diese Art von Stress schadet ähnlich wie der Konsum von 15 Zigaretten pro Tag oder Alkoholsucht. Gefühle von Ausgeschlossensein und Einsamkeit wirken zweimal so stark wie Esssucht und erhöhen Stress und Schlaflosigkeit (Holt-Lunstad & Smith).
Wertschätzung ist relativ
Dass die Wahrnehmung von Wertschätzung durch sozialen Vergleich relativ ist, zeigen zwei Studien.
Als zwei Affen Die Aufgabe erfüllen mussten, einen Stein durch das Gitter zu geben, erhielt der eine ein Stück Gurke, der andere eine Weintraube. Während der Affe beim ersten Mal noch absolut zufrieden mit seinem Stück Gurke als Belohnung war, reagierte er irritiert, als er sah, dass sein Kollege für dieselbe Aufgabe die viel süßere, nahrhaftere Weintraube und damit mehr Wertschätzung erhielt. Als Feedback wurde die Gurke beim zweiten Mal zurückgeworfen. Als darauf allerdings nicht eingegangen wurde, reagierte er mit Frust und Aggression. Denn desto stärker das Bemühen darum, umso größer ist der Schmerz, nicht wahrgenommen zu werden.
Ein ähnliches Fazit wurde aus einer weiteren Studie mit Menschen gezogen. Wurde den ProbandInnen in Aussicht gestellt, ab sofort 500€ mehr zu verdienen, willigten fast alle ein. Als dieses Angebot jedoch an die Bedingung geknüpft wurde, dass alle anderen KollegInnen mit dieser Einwilligung um 800€ mehr verdienen würden, haben sich 80% dazu entschieden, das Angebot doch nicht anzunehmen. Lieber wird die Chance auf mehr Gehalt aufgegeben, als dass ein Mangel an Wertschätzung spürbar würde.
Wertschätzung als Basis für Potentialentfaltung
Bisher wurde nun ausgiebig über die Risiken und Auswirkungen von mangelnder Wertschätzung gesprochen. Doch jetzt wollen wir auch die positiven Auswirkungen von gelebter und erlebter Wertschätzung beleuchten. Durch das Gefühl von Einbindung nämlich sind, wie bereits oben erwähnt, höhere Gehirnebenen aktiv, wodurch die volle mentale Stärke ausgenutzt werden kann.
Menschen, die uns unmittelbar begleiten, haben also eine wesentliche Rolle auf die Leistungen, die wir erbringen können!
Dazu eine kurze (nicht belegte) Anekdote von Thomas A. Edison, dem berühmten Erfinder der Glühbirne: Er erhielt als Bub einen Brief vom Direktor, der für seine Mutter bestimmt war. Sie sagte, dass im Brief stehe, er sei hochbegabt und die Schule nichts mehr tun könne, weshalb sie ihn privat unterrichten solle. Er freute sich und lernte eifrig durch die Förderung seiner Mutter. Einige Jahre später, als Edison bereits höchst erfolgreich mit seinen Erfindungen war, starb seine Mutter. Als er den Brief in seinem Elternhaus fand, traute er seinen Augen nicht: Der eigentliche Text des Briefes lautete, dass Thomas geistig behindert sei und die Schule deshalb nichts mehr für ihn tun könne.
Diese rührende Geschichte macht deutlich, dass die Wertschätzung und Unterstützung, die man erhält, den Rahmen des Leistbaren absteckt, und so viel wichtiger ist, als wir denken.
Lanthier rät trotz aller Relevanz von Wertschätzung auch zu Vorsicht. Wenn hauptsächlich Dinge wertgeschätzt werden, die nicht zu 100% kontrollierbar sind, wie etwa das Aussehen, ein Sieg beim Fußball-Match oder gute Noten, kann dies auch Versagensängste fördern. Daher soll immer mehr die Anstrengung an sich als das Ergebnis wertgeschätzt werden!
Wie kann man Wertschätzung fördern?
Das Ergebnis stimmt nur teilweise mit Studien dazu überein. Laut diesen wird die Wertschätzung von der eigenen Führungskraft am höchsten bewertet. Das ist darauf zurückzuführen, dass man seinen eigenen Status erhöhen will und damit Wertschätzung von der Person, die Einfluss darauf hat, besonders relevant erscheint. Eine zweite Ursache für diese Wahrnehmung ist, dass Führungskräfte meistens über wenig Zeit verfügen und deren Wertschätzung daher umso kostbarer empfunden wird.
Durch die Wertschätzung von KollegInnen erlebt man sich selbst als Bestandteil der Gruppe, was für die persönliche Gesundheit ebenso unabdingbar ist.
Wertschätzung ist jedenfalls ansteckend. Wer also häufig Wertschätzung erhält, erwidert dieses Verhalten auch nahezu immer! Auf diese Weise kann Wertschätzung gefördert werden und ein Wandel innerhalb einer Kultur stattfinden.
Abschließend rät Lanthier, mit Menschen mehr umzugehen wie mit Geldscheinen.
Was vorerst eigenartig klingt, birgt eine schöne Botschaft: Der Wert eines Geldscheines ändert sich nicht, auch wenn ihn jemand abknickt oder er vollkommen zerknüllt wurde. Wir selbst sprechen uns häufig unseren Wert ab. Doch der Wert eines jeden Mensch ist unantastbar. Wertschätzung startet mit und bei uns selbst!
FAQ - Eure Fragen
Wie kann ich an mein Umfeld bestmöglich kommunizieren, dass ich mich nicht ausreichend wertgeschätzt fühle?
Das ist abhängig davon, in welcher Beziehung man zueinander steht. Ich rate zu Ehrlichkeit und Offenheit und würde Ich-Botschaften formulieren: Was ist mein Bedürfnis? Wo habe ich das Gefühl, nicht gesehen zu werden? Menschen können Wünsche zudem immer besser nachvollziehen, je konkreter durch die Nennung von Situationen und Beispiele zum Ausdruck gebracht wird, worum es geht.
In Österreich hört man oft: „Nicht geschimpft ist gelobt genug“. Wie kann man sich einen wertschätzenderen Umgangston antrainieren?
Der Ton folgt prinzipiell dem, was in uns passiert. Ich glaube, dass man Wertschätzung wirklich trainieren kann, weil sie durch unseren Blick auf die Dinge geprägt ist. Oft fällt der Blick zunächst genau darauf, was nicht passt. Das ist auch kulturell geprägt (vgl. Schule). Es hilft, damit zu beginnen, den eigenen Blick dafür zu schärfen, was einem am anderen gefällt und wo er sich bemüht. Es ist ein bisschen Training und Übung – desto häufiger man bewusst daran denkt, umso automatischer wird es.
Wertschätzung leidet meiner Meinung nach vor allem in stressigen Situationen. Welche Empfehlungen haben Sie hier bzw. wie können wir im Zuge der Gesundenführung unsere Führungskräfte zu diesem Thema noch besser abholen?
Ich nehme oft großes Bemühen wahr, Wertschätzung im Unternehmen besser zu etablieren (Bsp. Bestandteil des Mitarbeitergesprächs). In dem Moment aber, in dem klar wird, dass man nur wertgeschätzt wird, weil es auf der To-do-Liste steht, weil Wertschätzung als Fixum im Unternehmen verpflichtend ist, ist sie nichts mehr wert. Es ist gut gemeint, aber das muss von selbst kommen und kann nicht erzwungen werden. Besser wäre, allgemein Vorträge und Fortbildungen für Bewusstseinsbildung anzubieten, damit der Blick dafür geschärft wird, Wertschätzung auch in stressigen Situationen nicht zu vernachlässigen.
Können Menschen Wertschätzung lernen, die ansonsten keine soziale Kompetenz haben?
Ich würde sagen, JA. Aber es ist auch abhängig davon, ob die Menschen das auch wollen oder nicht. Wir können Wertschätzung nicht verordnen. Wir Menschen sind zu vielen Sachen in der Lage, wir sind Lernwesen, wir können uns einiges aneignen, aber die Bereitschaft dazu, ist die Voraussetzung.
Kann man die Wertschätzung in einem Unternehmen in Zahlen messen?
Die Aufzeichnung des gesamten Vortrags inklusive der Q&A Session steht den bei Windhund 365 teilnehmenden Unternehmen auf der Eventumgebung 30 Tage lang zur Verfügung.
- Dr. Britta Hölzel - Bewusst wie
- Felix Gottwald - Der Balanceakt von Fördern und Fordern
- Holly Wilkinson - Selbstbewusst gesund
- Viktoria Lanthier - Wertschätzung, die unterschätzte Superkraft
- Dieter Kalt - Das Mindset Upgrade für deinen Alltag
- Sven Hannawald - 4 Gewinnt
- Sebastian Mauritz - Prosilienz®
- Patrick Mocker - Akutstress meistern
- Sophie Thurner - Die andere Welt hinter Geld
- Dr. Margarita Seiwald - Die Macht der Psyche
- Dr. Bernd Hufnagl - Das gestresste Gehirn
- Dr. Manuel Schabus - Neues aus der Schlafforschung
- Anna Gellert - Fuel Smart
- Patrick Herrmann - Die Gesundheit steht am Ende der Lüge
- Frédéric Letzner - Kopf aus! Mund auf!
- Ali Mahlodji - Zukunft ist jetzt
- Dr. Bardia Monshi - Krisen Kraftvoll Kontern
- Thomas Huber - Berufung Berg
- Austrian Health Day powered by AUVA 2023 - Bildgalerie
- Bericht - Austrian Health Day powered by AUVA
- Ankündigung - Austrian Health Day powered by AUVA
- Dr. Christian Benedict - Schlaf dich klug, schön & erfolgreich
- Dr. Sabine Schonert-Hirz - Digitaler Stress
- Marc Gassert - Wieder ins Tun kommen
- Dr. Lutz Graumann - Eat Smart
- Felix Gottwald - Bewegt. Bewusst. Belebt.
- Dr. Markus Hengstschläger - Die Macht der Gene
- Dejan Stojanovic - Vorteile einer gesunden Fehlerkultur
- Peter Rach - Hilfe, unser Team macht krank!
- Cornelia Seitlinger-Schreder - Smart Food Choice
- Christoph Schlick - Was meinem Leben Wert und Sinn gibt
- Austrian Health Day powered by AUVA 2022
- Go digital or go home
- Whitepaper: Was ist BGM? – der kompakte Leitfaden